Freispruch bei sexuellem Missbrauch

01.02.2019 –  Staatsanwaltschaft Düsseldorf stellt Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen gegen unseren Mandanten ein. 

Neuer Straftatbestand und die Prozesswirklichkeit

Kein anderes Delikt ist mit so hohen Emotionen behaftet wie der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Die Kriminalpolitik sieht sich fast ständig mit lautstarken Forderungen nach höheren Strafen konfrontiert. Öffentliche Gerichtsverfahren stigmatisieren die Angeklagten und vernichten Existenzen, und zwar unabhängig vom Ausgang gerichtlicher Strafprozesse. Um so wichtiger ist es aus unserer Sicht, die Strafverteidigung auf das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren zu konzentrieren und alles daran zu setzen, die Eröffung eines gerichtlichen Hauptverfahrens zu verhindern.

Die Straftatbestände, die den sexuellen Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen unter hohe Strafandrohungen stewllen, schützen die sexuelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht von Kindern und Jugendlichen. Unter Strafe gestellt werden Verletzungen der sexuellen Integrität von Kindern und Jugendlichen, durch die sie zum Objekt fremdbestimmter sexueller Handlungen werden. Die einschlägigen Straftatbestände sind im Laufe der Jahre vor dem Hintergrund gewandelter gesellschaftlicher Anschauungen viele Male reformiert und geändert worden.

Die aktuellen Straftatbestände § 176 StGB, § 176a StGB und § 182 StGB

Die aktuellen § 176 StGB (sexueller Missbrauch von Kindern), § 176a StGB (schwerer sexueller Mißbrauch von Kindern) und § 182 StGB (sexueller Missbrauch von Jugendlichen) sind am 27.1.2015 in Kraft getreten und die Diskussion um erneuten Reformbedarf setzt sich seitdem fort.

Obwohl Experten vermuten, dass die Fallzahlen in Zukunft rückläufig sein könnten, nimmt die Strafverteidigung gegen Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs in unserer Praxis breiten Raum ein. Und wenn es irgendwo eine Chance gibt, eine Gerichtsverhandlung zu vermeiden und unsere Mandanten bereits im Ermittlungsverfahren zu entlasten, nutzen wir diese. Denn eine Gerichtsverhandlung wegen sexuellem Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen hinterlässt tiefe Spuren, egal wie sie ausgeht.

Freispruch bei sexuellem Missbrauch – was ist mit dem Restverdacht?

Freisprüche bei Gericht vermitteln dem Angeklagten - und dem Strafverteidiger - immer Erleichterung und meistens auch ein Hochgefühl, aber nicht immer. Denn ein verbleibender Restverdacht wirkt bei Anklagen wegen sexuellen Missbrauchs - auch beim Freispruch – verheerend, besonders, wenn sich alle – manchmal leider auch Richter – nach dem Freispruch über den verbleibenden Restverdacht in unangemessener Weise auslassen.

Beispiele dafür kennen wir alle: Die soziale Ausgrenzung trifft nicht nur Prominente, auch der freigesprochene Übungsleiter oder Vereinstrainer ist betroffen, der schon sein Leben lang am Ort wohnt, jetzt spricht dort niemand mehr mit ihm. „Freispruch: Sexueller Missbrauch nicht nachzuweisen“ berichtet die Presse und der freigesprochene Angeklagte muss aus dem Ort wegziehen, um wieder halbwegs frei ohne das Stigma leben zu können, irgendetwas sei doch dran an der Sache mit dem sexuellen Missbrauch.

Dabei sind Freisprüche bei Anklagen wegen sexuellen Missbrauchs gar nicht so selten. Anklagen wegen sexuellen Missbrauchs basieren häufig auf einer einzigen fragwürdigen Zeugenaussage. Wenn die einzige Belastungszeugin oder der einzige Belastungszeuge aber vor Gericht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, oder wenn ein aussagepsychologisches Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass die Aussage - bewusst oder unbewusst -  falsch ist und jedenfalls nicht auf tatsächlichen Erlebnissen basiert, kommt das Gericht am Freispruch nicht vorbei. Solche Prozesse, für die eigentlich mehrere Verhandlungstage angesetzt waren, enden manchmal bereits nach wenigen Stunden mit dem Freispruch und hinterlassen trotzdem eine Brandruine, aus der der „Restverdacht“ wie eine Rauchfahne noch aufsteigt, wenn der Freispruch längst rechtskräftig ist.

Im Grunde gibt es nur einen Weg, um beim Vorwurf eines Sexualdeliktes die toxische Wirkung des „Restverdachts“ zu begrenzen, das ist die Verhinderung der Hauptverhandlung. Viele wissen gar nicht, dass das Gericht vor einer Hauptverhandlung in einem eigenen Verfahren erst über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden muss. Und ein wesentliches Kriterium für diese Entscheidung ist, ob das Gericht die spätere Verurteilung des Angeklagten – unter Berücksichtigung aller Zeugnisverweigerungsrechte, Beweisverwertungsverbote und entlastenden Beweismittel - wirklich für überwiegend wahrscheinlich hält (§ 203 StPO). In diesem noch nicht öffentlichen Verfahrensabschnitt vor einer Hauptverhandlung kann der Kampf gegen den Restverdacht noch gewonnen werden.

176 StGB (am 27.1.2015 in Kraft getreten) der sich aus ganz unterschiedlichen Delikten zusammensetzt, wird m.E. zu Unrecht als „unübersichtlich“ kritisiert. Der reine Umfang des Gesetzestextes ist dem Bemühen geschuldet, für strafwürdig erachtete Sachverhalte mit der für Straftatbestände gebotenen Bestimmtheit abzubilden. Etwas aufwendig ist die Formulierung des § 176 Abs. 4 StGB.

176 Abs. 1 StGB droht bei körperlichen Sexualkontakten des Täters mit dem Kind Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren an, während § 176 Abs. 2 StGB die gleiche Strafandrohung für Sexualkontakte mit Dritten enthält. § 176 Abs. 3 StGB schreibt für besonders schwere Fälle des Kindesmissbrauchs Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr vor.

Nach § 176 Abs. 4 StGB wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wer sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt. Das Anbieten von Kindern – und Verabredungen dazu - für Taten nach § 176 I – IV StGB wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Generell ist der Versuch des Kindesmissbrauchs strafbar (§ 176 Abs. 6 StGB), allerdings nicht für Taten nach § 176 IV Nr. 3 und 4 und Absatz V StGB.

176a StGB droht für den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern erhöhte Freiheitsstrafen an, u.a. bei einer einschlägigen Vorverurteilung des Täters in den letzten fünf Jahren, wenn der Täter mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird oder der Täter das Kind durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt. Ein Fall des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern liegt regelmäßig auch vor, wenn der Täter oder ein Beteiligter in der Absicht handelt, die Tat zum Gegenstand einer pornographischen Schriften zu machen (§ 176a Abs. 3 StGB).

sexueller Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 StGB)

Anders strukturiert als die Straftatbestände gegen Kindesmissbrauch ist § 182 StGB, der den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen unter Strafe stellt. § 182 StGB erfasst den Missbrauch von Jugendlichen durch Ausnutzen einer Zwangslage (§ 182 Abs. 1 StGB), sexuelle Handlungen gegen Entgelt (§ 182 Abs. 2 StGB) und den Missbrauch von Jugendlichen durch Ausnutzen der fehlenden sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit (§ 182 Abs. 3 StGB). Bei allen Begehungsformenist Vorsatz erforderlich, wobei ein bedingter Vorsatz genügt, der aber auch das Alter des Opfers umfassen muss. Hält der Täter ein kindliches Opfer für einen Jugendlichen unter 18 bzw. 16 Jahren kann er nach § 182 bestraft werden (BGHSt 42, 51). Hält der Täter ein jugendliches Opfer noch für ein Kind, so liegt ein Versuch des Kindesmissbrauchs nach § 176 StGB vor, neben dem aber eine Strafbarkeit nach § 182 StGB stehen kann. Der Vorsatz des Täters muss aber auch noch weiter gehen und in den Fällen von § 182 Abs. 1 und Abs. 2 StGB immer auch die Kausalität der Zwangslage bzw. der Entgeltlichkeit umfassen.

 

 

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