Disziplinarverfahren Beamte

Verteidigung im Disziplinarverfahren gegen Beamte

Disziplinarverfahren gegen Beamte und Strafverfahren haben im Hinblick auf die Verteidigung vieles gemeinsam. Insbesondere wenn beiden Verfahren der Verdacht einer Straftat zugrunde liegt, verflechten gesetzliche Verweise des Disziplinarrechts auf das Straf- und Strafprozessrecht beide Verfahren zu einem Ganzen, das auch nur insgesamt sinnvoll bewältigt werden kann. In sehr vielen Disziplinarverfahren gegen Beamte haben wir in vielen Jahren Erfahrung zusammengetragen. Wir kennen die Kräfte, die hier im Spiel sind.

Die Tatbestandsstruktur eines Dienstvergehens ist prinzipiell die gleiche wie die einer Straftat. Beide setzen objektiv die Verletzung einer Pflicht und subjektiv das Verschulden des Beamten voraus.

Auch das jeweilige Prozessrecht hat Parallelen. In beiden Verfahren kann sich der Betroffene eines Beistandes bedienen, er hat ein Recht auf Akteneinsicht und Teilnahmerechte bei der Beweisaufnahme, es gelten auch im Disziplinarverfahren die §§ 52 ff., 76 der Strafprozessordnung (StPO) bezüglich Zeugnisverweigerungsrechten und Auskunftsverweigerungsrechten von Zeugen und Sachverständigen. Und § 27 Abs. 1 Satz 3 BDG verweist für das Disziplinarverfahren auf die Bestimmungen der Strafprozessordnung über Beschlagnahmen und Durchsuchungen, die entsprechend gelten.

In beiden Verfahren hat - hier der Bevollmächtigte, dort der Strafverteidiger - das Recht, Akteneinsicht zu nehmen, um so die für eine effiziente Verteidigung unerlässliche Basis an Informationen zu generieren. Umfassende Information über den erhobenen Vorwurf und die bisherigen Ermittlungsergebnisse ist die Basis aller effizienten Verteidigung. Der Verteidiger hat auch im Disziplinarverfahren das Recht zur Teilnahme an Beweiserhebungen einschließlich mündlicher Anhörungen und kann seinen Informationsstand ständig aktualisieren.

Der Strafverteidiger und der Bevollmächtigte im Disziplinarverfahren haben die Rolle eines Beistandes gemeinsam, der die Rechte seines Mandanten wahrt. Es entspricht unserem ergebnisorientierten Ansatz, dabei alle schrillen Töne zu vermeiden. Nach meiner Erfahrung kann genauso wie im Strafverfahren auch im Disziplinarverfahren eine sachliche, offene Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten oft wohltuende klimatische Verhältnisse erzeugen, die die Sache des Mandanten - bei strenger Justizförmlichkeit des Verfahrens - fördern.

In beiden Verfahren ist die Art des Verteidigerhandelns selbstverständlich abhängig von den außerordentlich vielschichtigen tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen. Für beide Verfahren gilt, daß Verteidigeraktivitäten im frühen Ermittlungsverfahren wichtig sind, denn was dort versäumt wird, kann im Fortgang des Verfahrens oft nicht wieder aufgeholt werden.

Wechselbezüglichkeit zwischen Disziplinarverfahren und Strafverfahren
In der Praxis stellt sich immer eine Wechselbezüglichkeit zwischen Disziplinarverfahren und Strafverfahren ein, wenn das Dienstvergehen zugleich als Straftat verfolgt wird. Dann hat die Strafverteidigung absoluten Vorrang. Denn das Disziplinarverfahren ist u.a. nach § 22 BDG zwingend auszusetzen, wenn wegen desselben Sachverhaltes ein Strafverfahren geführt wird. Liegt ein rechtskräftiges Strafurteil vor, so sind dessen tatsächliche Feststellungen für das Disziplinarverfahren wiederum bindend (§ 23 Abs. 1 BDG). Allein der Aussetzungszwang erhellt schon die Leitfunktion des Strafverfahrens für das Disziplinarverfahren.

Legalitätsprinzip
Sowohl das disziplinarrechtliche Ermittlungsverfahren als auch das strafrechtliche Ermittlungsverfahren unterliegen dem Legalitätsprinzip, d.h., daß das Verfahren von dem Dienstvorgesetzten (§ 17 Abs. 1 BDG) bzw. der Staatsanwaltschaft zwingend einzuleiten ist, wenn ein Dienstvergehen bekannt wird bzw. der Verdacht einer Straftat aufkommt. In beiden Verfahren schränkt aber in gewissem Umfang der Opportunitätsgrundsatz das strikte Legalitätsprinzip ein, wonach nämlich disziplinarische Ermittlungen bei Sachverhalten von geringer Bedeutung nicht aufgenommen werden müssen bzw. strafrechtliche Ermittlungsverfahren bei geringer Schuld (z.B. §§ 153, 153a StPO) auch wieder eingestellt werden können. Gute Strafverteidigung kann vielfach Vorwürfe in den Bereich der Geringfügigkeit herunterdefinieren, indem der Vorwurf in den richtigen Kontext gestellt wird.

Das Dienstvergehen
Ein Dienstvergehen liegt vor, wenn eine Beamtin oder ein Beamter schuldhaft seine Pflichten verletzt (§ 47 Abs. 1 Satz BeamtStG, § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG). Bei der Definition des "Dienstvergehens" liegt ein entscheidender Unterschied zum Strafrecht, denn im Disziplinarrecht gibt es keinen abschließenden Katalog von Einzeltatbeständen oder eine abschließende Aufzählung der möglichen Pflichtverletzungen. Die Rechtsprechung hat aber die möglichen Dienstvergehen in Komplexe gegliedert:

vorwerfbare Minderleistung, häufige Verspätungen,

Fernbleiben vom Dienst und "Streikverhalten"
 

Alkohol- und Drogensucht,

alkoholbedingtes Fehlverhalten im Dienst und außer Dienst

Verstöße gegen die Treuepflicht des Beamten

und die Pflicht zur politischer Mäßigung

Verschuldung, nämlich das Eingehen von finanziellen

Verbindlichkeiten über der zu erwartenden Leistungsfähigkeit
 

Nichteinhaltung von Dienstanweisungen
 

grob unkollegiales und unehrenhaftes Verhalten gegenüber Mitarbeitern und Mobbing
 

Zugriff auf amtlich anvertraute Gelder und Vermögensgegenstände des Dienstherrn, sonstige Zugriffsdelikte, insbesondere Kollegendiebstahl
 

Verbot der Geschenkannahme - Korruptionsdelikte
 

unberechtigte Beantragung von Beihilfen, falsche Reisekostenabrechnungen etc.
 

Verletzung der Amtsverschwiegenheit
 

Sexualstraftaten und sonstige Straftaten

Eine andere Gliederung unterscheidet danach, ob es sich um innerdienstliche oder außerdienstliche Pflichtverletzungen handelt. Die innerdienstlichen Pflichten finden sich in zahlreichen Vorschriften (vgl. §§ 33 ff. BeamtStG, § 60 ff. BBG) grob beschrieben.
 
Außerdienstliche Pflichtverletzungen
Außerdienstliche Pflichtverletzungen können Anlaß für ein Disziplinarverfahren sein, wenn sie "nach den Umständen des Einzelfalls im besonderen Maße geeignet ... (sind), das Vertrauen in einer für ihr Amt oder das Ansehen des Beamtentums ... bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen." Heute besteht Einigkeit darüber, daß allein die Qualifikation eines Verhaltens als Straftat für eine Dienstpflichtverletzung nicht ausreicht, wenn nicht weitere Umstände hinzukommen. Die Fallgruppen besonders qualifizierender Umstände, die außerdienstliche Straftaten zum Dienstvergehen machen, sind

Straftaten mit Bezug zu den übertragenen Dienst- und Obhutspflichten, wobei in erster Linie an Polizeibeamte, Beamte der Finanzverwaltung und Lehrer zu denken ist,
 

Straftaten zum Nachteil des Staates, in erster Linie nach den §§ 80 - 120 StGB,
 

Straftaten z.B. der Steuer- und Abgabenhinterziehung, die das Vermögen des Staates betreffen,
 

besonders schwerwiegende Straftaten und Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr oder mindestens 6 Monaten (§ 41 BBG, § 24 BeamtStG).

Oben habe ich bereits die Verpflichtung zur Aussetzung des Disziplinarverfahrens während eines anhängigen Strafverfahrens angesprochen. Der Grund für die obligatorische Aussetzung besteht auch darin, daß die Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils in einem Strafverfahren für das Disziplinarverfahren bei gleichem Sachverhalt bindend sind (§ 23 BDG).

Einstellung des Strafverfahrens als oberstes Ziel: Dieser zwingende Zusammenhang, nämlich die Verbindlichkeit des Strafurteils für das Disziplinarverfahren, gebietet es der Strafverteidigung, im Strafverfahren nach Möglichkeit auf eine Einstellung des Strafverfahrens hinzuwirken.

Die strafprozessualen Einstellungsmöglichkeiten sind vielfach, nämlich u.a.:

Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdachts (§ 170 II StPO)
  Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO)
  Einstellung des Verfahrens mit Auflagen und Weisungen (§ 153a StPO)
  Einstellung des Verfahrens bei der Möglichkeit, von Strafe abzusehen (§ 153b StPO)
  Einstellung unwesentlicher Nebenstrafen (§ 154 StPO)
  Beschränkung der Strafverfolgung (§ 154a StPO).

Von besonderer praktischer Bedeutung für den Zusammenhang von Straf- und Disziplinarverfahren ist § 153a StPO, der die Einstellung von Strafverfahren gegen Auflagen und Weisungen in jedem Verfahrensstadium bis zum Urteil ermöglicht, wenn dem Beschuldigten ein Vergehen i.S.d. § 12 Abs. 2 StGB vorgeworfen wird. Das Verwaltungsgericht Münster hat zuletzt nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 LDG NRW eine Disziplinarverfügung ganz aufgehoben (20 K 1168/11.0), weil das Strafverfahren gegen den betroffenen Beamten gem. § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage von 900,00 € eingestellt worden war. Die Einstellung nach § 153a StPO wirkte sich im Disziplinarverfahren als Prozeßhindernis aus.

Die Einstellung des Strafverfahrens gegen Auflagen nach § 153a StPO setzt die Zustimmung des Beschuldigten voraus, der sich aber dagegen verwahren muß, daß der der Einstellungsverfügung zugrundeliegende Sachverhalt in Zukunft als "erwiesen" angesehen wird. Tatsächlich kann aber im Disziplinarverfahren nicht von einem "Erwiesensein" einer Tat ausgegangen werden, die Gegenstand einer Einstellung gegen Auflagen war. Dies ergibt sich eindeutig aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wobei allerdings der Vollständigkeit halber zu erwähnen ist, daß in der Praxis - zu Unrecht - der Einstellung gem. § 153a StPO gegen Auflagen wegen der erforderlichen Zustimmung des Beschuldigten in der Folge eine gewisse "Indizwirkung" für den vorgeworfenen Sachverhalt zugeschrieben wird. Richtig ist nämlich, daß die Zustimmung des Beschuldigten zu einer Einstellung nach § 153a StPO kein Schuldeingeständnis darstellt. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits in zwei Beschlüssen aus den Jahren 1991 und 1995 festgestellt und diese Erkenntnis sollte sich heute eigentlich überall durchgesetzt haben.

Der Beamte muss sich immer auf ein Disziplinarverfahren einstellen, wenn er wegen einer disziplinarisch erheblichen Straftat verurteilt wird. Im Falle eines Freispruchs kommt ein Disziplinarverfahren nur noch wegen eines sog. "disziplinarrechtlichen Überhanges" in Betracht, der die Schwelle der Strafbarkeit nicht erreicht. Der Strafbefehl steht einer Verurteilung gleich. Auch im Falle einer Einstellung wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO) oder gegen Auflagen und Weisungen (§ 153a StPO) wird der Beamte u.U. noch mit einem Disziplinarverfahren rechnen müssen, das sich aber nicht mehr auf einen vom Gericht verbindlich festgestellten Sachverhalt beziehen kann, so daß ggfs. eigenständige Ermittlungen im Disziplinarverfahren durchgeführt werden müßten. Die Tatsache aber, daß die Strafverfolgungsbehörden durch die Einstellung nach §§ 153, 153a StPO signalisiert haben, daß der Unrechtsgehalt der Tat gering ist, wird auch dem Disziplinarverfahren eine Prägung geben, wenn nicht sogar ein Prozesshindernis angenommen wird (s.o.).

Ebenso wie im Falle des Freispruches kommt auch bei einer Einstellung des Strafverfahrens im Ermittlungsverfahren nach § 170 II StPO mangels Tatverdachts grundsätzlich ein Disziplinarverfahren noch in Betracht bei einem disziplinarichen Überhang (s.o.)

So ergeben sich im Disziplinarverfahren zwei grundsätzlich verschiedene Ausgangslagen, nämlich einmal das Disziplinarverfahren, das die Feststellungen des Strafurteils übernimmt und einmal das Disziplinarverfahren, daß eigenständige Feststellungen treffen muß.

Die Beweiserhebung
Die Beweiserhebung im Disziplinarverfahren ist in § 24 BDG geregelt. Danach kommen als Beweismittel schriftliche dienstliche Auskünfte in Betracht, Anhörungen von Zeugen und Sachverständigen und deren schriftliche Äußerungen, beigezogene Urkunden und Akten und Augenscheinseinnahmen. Im Vergleich zum Strafprozeß ist die Verwertung schriftlicher Aussagen und von Protokollen von Beweiserhebungen im Disziplinarverfahren erleichtert.

Der Beamte kann im Disziplinarverfahren Beweisanträge stellen, über die nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden ist. Einem Beweisantrag ist zwingend stattzugeben, wenn er für die Tat- oder Schuldfrage oder für die Bemessung oder Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sein kann. In jedem Falle ist der Beweisantrag zu bescheiden (vgl. unten VG Düsseldorf). Der Beamte kann an der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen und an der Einnahme des Augenscheins teilnehmen und hat hierbei ein Fragerecht. Er kann nur aus wichtigen Gründen von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Schriftliche Gutachten sind ihm zugänglich zu machen, wenn nicht zwingende Gründe entgegenstehen. Für Zeugen und Sachverständige verweist § 25 BDG ergänzend auf die Vorschriften der Strafprozeßordnung. Beschlagnahmen und Durchsuchungen können vom Verwaltungsgericht auf Antrag angeordnet werden (§ 27 Abs. 1 BDG). Die Bestimmungen in der Strafprozeßordnung über Beschlagnahmen und Durchsuchungen gelten entsprechend. Wenn also dem Disziplinarverfahren ursprünglich eine Straftat zugrunde liegt, richtet sich die gesamte Beweisaufnahme - wenn kein strafgerichtliches Urteil gefällt wird-, im wesentlichen nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung, die die Domäne des Strafverteidigers ist.

Bemessung der Disziplinarmaßnahmen

Bei der Festlegung der Disziplinarmaßnahme im konkreten Fall legen die Gerichte regelmäßig ein mehrstufiges Prüfungsschema zugrunde:

Im Interesse der  Gleichbehandlung wird zuerst eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe festgestellt, der man den zu entscheidenden Fall zuornet. Diese Regelmaßnahme besteht z.B. beim Besitz kinder- und jugendpornografischer Dateien und dem Sichverschaffen des Besitzes regelmäßig in einer Dienstgradherabsetzung. Im Fall des Verbreitens , Verschaffens und Zugänglichmachens derartiger Dateien sehen viele Gerichte im Regelfall die Höchstmaßnahme - Entfernung aus dem Beamtenverhältnis -  als angemessen an.

Eine Ausrichtung der Sanktion im Disziplinarverfahren an den  Strafrahmen soll eine nachvollziehbare Ahndung gewährleisten. Deshalb orientieren sich  Verwaltungsgerichte bei der konkreten Zumessung einer Disziplinarmaßnahme an den Wertungen des Gesetzgebers in den  Strafandrohungen und an den Wertungen des Strafgerichts im Einzelfall.

Auf der zweiten Stufe kommen die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahmen im konkreten Fall maßgeblichen Umstände zum Tragen, die ähnlich den Umständen sind, die im Strafverfahren für die Bemessung einer Strafe maßgeblich sind, nämlich u.a. das Nachtatverhalten, insbesondere die Wiedergutmachung des Schadens und die Unrechtseinsicht; ein Geständnis und eine möglichst frühzeitige Offenbarung der Verfehlung; die Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhaltes; eine Begünstigung der Tat durch Vorgesetzte oder auch die Duldung durch Vorgesetzte; die bisherige Unbescholtenheit des Beamten; bisher einwandfreie dienstliche Leistungen und Führung; die persönliche Beeinträchtigung des Beamten durch das Verfahren und insbesondere durch eine möglicherweise überlange Verfahrensdauer.

Ausgang des Strafverfahrens präjudiziert Disziplinarverfahren

Wie weit der Ausgang des Strafverfahrens das Disziplinarverfahren präjudiziert, regeln vor allen § 14 BDG und die entsprechenden Landesdisziplinargesetze, wonach ein Verweis, eine Geldbuße oder eine Kürzung des Ruhegehaltes nicht mehr ausgesprochen werden dürfen, und eine Kürzung der Dienstbezüge nur noch in Ausnahmefällen, wenn gegen einen Beamten im Straf- oder Bußgeldverfahren unanfechtbar eine Strafe, Geldbuße oder Ordnungsmaßnahme verhängt worden ist, oder ein Strafverfahren wegen derselben Tat nach § 153a StPO nach der Erfüllung von Auflagen und Weisungen eingestellt worden ist.

  • 14 Abs. 2 BDG bestimmt, dass wegen des Sachverhalts, der Gegenstand der strafgerichtlichen Entscheidung gewesen ist, eine Disziplinarmaßnahme nur noch ausgesprochen werden darf, wenn dieser Sachverhalt ein Dienstvergehen darstellt, ohne den Tatbestand einer Straf- oder Bußgeldvorschrift zu erfüllen (sog. "disziplinarischer Überhang").

Darüber hinaus gibt es nach § 15 BDG ein Disziplinar-Maßnahmenverbot wegen Zeitablaufs. Wenn nämlich seit der Vollendung eines Dienstvergehens mehr als zwei Jahren vergangen sind, darf ein Verweis nicht mehr erteilt werden. Sind mehr als drei Jahre vergangen, darf eine Geldbuße, eine Kürzung der Dienstbezüge oder eine Kürzung des Ruhebehaltes nicht mehr ausgesprochen werden. Und nach Ablauf von mehr als 7 Jahren darf auch auf eine Zurückstufung nicht mehr erkannt werden. Die genannten Fristen werden allerdings durch die Einleitung oder Ausdehnung eines Disziplinarverfahrens, die Erhebung der Disziplinarklage oder der Nachtragsdisziplinarklage oder der Anordnung oder Ausdehnung von Ermittlungen gegen Beamte auf Probe und auf Widerruf unterbrochen. Fristen sind auch für die Dauer des Widerspruchsverfahrens, des gerichtlichen Disziplinarverfahrens und für die Dauer einer Aussetzung des Disziplinarverfahrens nach § 22 BDG oder für die Dauer der Mitwirkung des Personalrats gehemmt. § 16 BDG regelt ergänzend Verwertungsverbote.

Die nachfolgend zitierte Rechtsprechung zeigt beispielhaft - keineswegs abschließend - Gründe für die Aufhebung von Disziplinarverfügungen auf:

VG München hebt Disziplinarverfügung auf
Mit Urteil vom 27.10.2010 (M 13 DB 09.4656) hat das Verwaltungsgericht München eine Disziplinarverfügung gegen einen Polizeihauptmeister aufgehoben, weil die im behördlichen Disziplinarverfahren durchgeführten Ermittlungen dem Grundsatz nicht gerecht wurden, daß zur Aufklärung des Sachverhalts nicht nur die belastenden, sondern auch die entlastenden und die zur Bemessung der Disziplinarmaßnahme maßgeblichen Umstände zu ermitteln sind (Art. 23 Abs. 1 BayDG). Die Ermittlungen wiesen erhebliche Defizite auf, insbesondere wurden sich aufdrängende Zeugenvernehmungen nicht durchgeführt, so daß die Disziplinarverfügung vor dem Gericht keinen Bestand haben konnte.

VG Düsseldorf hebt Disziplinarverfügung auf
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 23.02.2011 (31 K 7929/10.0) eine Disziplinarverfügung gegen einen Fachhochschulprofessor aufgehoben, weil die Behörde einen Beweisantrag des Klägers nicht beschieden hatte. Unabhängig davon, ob dem Beweisantrag zu entsprechen war, hätte jedenfalls eine pflichtgemäße Entscheidung über ihn ergehen müssen. Das war unterblieben. Die Unterlassung reichte für die Aufhebung der Disziplinarverfügung.

Die Disziplinarverfügung wegen vorgeblich ehrenrühriger Behauptungen des Fachoberschulprofessors wurde nach dem Urteil des VG Düsseldorf außerdem den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Würdigung von Meinungsäußerungen nicht gerecht. Sie legte den Äußerungen des Klägers einen Sinn bei, den sie nach ihrem Wortlaut objektiv nicht hatten und griff zudem unter mehreren objektiv möglichen Deutungen die zur Beanstandung führende heraus, ohne die anderen unter Angabe überzeugender Gründe auszuschließen.

VG Münster hebt Disziplinarverfügung auf
Das Verwaltungsgericht Münster hat mit Urteil vom 13.01.2012 (20 K 1168/11.0) eine Disziplinarverfügung gegen einen Polizeikommissar wegen eines Prozeßhindernisses aufgehoben. Vorher war ein Strafverfahren gegen den Polizeikommissar wegen des Verdachts des Betrugs in drei Fällen mit einem jeweils geringen Schaden gem. § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage von 900,00 € eingestellt worden. Dem Kläger wurde aber trotzdem von seinem Vorgesetzten die Fortführung des Disziplinarverfahrens angezeigt. Das VG Münster stellte jetzt fest, daß das Polizeipräsidium im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 LDG NRW die angefochtene Disziplinarverfügung wegen der im Strafverfahren erfolgten Einstellung nach § 153a StPO und dem nach Erfüllung der Auflagen durch den Kläger damit einhergehenden Prozeßhindernis nicht erlassen durfte.

VG Hannover setzt vorläufige Dienstenthebung aus
Mit Beschluß vom 18.11.2010 (18 B 5173/10) hat das VG Hannover die vorläufige Dienstenthebung eines Polizeikommissars ausgesetzt, dem vorgeworfen wurde, daß er sich in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, bei dem auch Vertreter der örtlichen Presse anwesend waren, bei seiner Verteidigung in der Wortwahl vergriffen hat. Das VG Hannover stellte fest, daß jedenfalls Dienstvergehen von nur geringem Gewicht selbst bei einer beträchtlichen Anzahl von vorangegangenen Disziplinarmaßnahmen regelmäßig nicht den Ausspruch der Höchstmaßnahme rechtfertigen können.

VG Freiburg (Breisgau) erklärt Disziplinarverfügung für nichtig
Mit Urteil vom 03.05.2010 (DL 10 K 210/10) hat das Verwaltungsgericht Freiburg eine Disziplinarverfügung für nichtig erklärt, die inhaltlich nicht hinreichend bestimmt war. Die Disziplinarverfügung muß nicht nur die Disziplinarmaßnahme enthalten, sondern auch das Disziplinarvergehen genau beschreiben, das mit der Maßnahme geahndet werden soll. Die bloße Verweisung auf einen Strafbefehl und die dortigen Feststellungen reich nicht.

VG Stuttgart erklärt Disziplinarverfügung für rechtswidrig
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat in einem Urteil vom 21.04.2010 (DL 20 K 2137/09) festgestellt, daß der fehlende Hinweis im Disziplinarverfahren auf das Antragsrecht zur Mitwirkung des Personalrats zur unheilbaren Rechtswidrigkeit der Disziplinarverfügung führt.

 

 

 

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