sexueller Missbrauch im Abhängigkeitsverhältnis

  • 174 StGB stellt den sexuellen Mißbrauch von Schutzbefohlenen unter Strafe.

Schutzbefohlene sind

  • Personen unter sechzehn Jahren, die dem Beschuldigten zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind,
  • Personen unter achtzehn Jahren, die dem Beschuldigten zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind, wenn der Mißbrauch auf einem Abhängigkeitsverhältnis basiert oder
  • Personen unter achtzehn Jahren, wenn sie Abkömmlinge des Beschuldigten oder seines Ehegatten oder seines Lebenspartners sind.

Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einem Schutzbefohlenen vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt. Tathandlungen i.S.d. § 174 Abs 1 und Abs 2 StGB sind nur sexuelle Handlungen, die der Beschuldigte am Körper des Schutzbefohlenen vornimmt oder die er von diesem am eigenen Körper vornehmen lässt. Körperliche Berührung ist für den Straftatbestand unerlässlich (vgl. aber unten zu § 174 Abs. 3 StGB).

Der Kreis der „Schutzbefohlenen“ kann sich nach § 174 Abs. 2 StGB – bei gleicher Strafandrohung, nämlich Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren - erweitern auf solche Personen, die in einer Erziehungseinrichtung o.ä. untergebracht sind, nämlich

Personen unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, Personen unter achtzehn Jahren, wenn der Beschuldigte für den sexuellen Missbrauch seine (Autoritäs-) Stellung ausnutzt.

Die weniger eingriffsintensive Begehungsform stellt § 174 Abs. 3 StGB unter Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, wenn der Beschuldigte, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, „nur“ ohne körperliche Berührung sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt oder den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt.

Der Versuch des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen ist strafbar (§ 174 Abs. 3 StGB).

 

Strafverteidigung gegen den Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen

Die Strafverteidigung setzt auch bei § 174 StGB bei der sorgfältigen Überprüfung aller Tatbestandsmerkmale an und es werden sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Schwachpunkte im strafrechtlichen Vorwurf entdecken lassen, wenn man den Sachverhalt nur lange genug prüfend ausfragt. Die Rechtsprechung hat eine umfangreiche Kasuistik herausgearbeitet, insbesondere auch zum Tatbestandsmerkmal des „Anvertrautseins“ bei der Lehrer-Schüler-Beziehung.

Auch wenn es einen Sachverhalt gibt, der den Mandanten in die Nähe des sexuellen Missbrauchs rückt, der Straftatbestand hat so viele rechtliche Hürden und Voraussetzungen, dass eine genauere Analyse des Sachverhaltes mit dem Maßstab der höchstgerichtlichen Rechtsprechung in jedem Fall lohnenswert ist. Um nur Beispiele zu nennen: Ein vorauszusetzendes Obhutsverhältnis besteht nicht unbedingt bei anderen Lehrern derselben Schule, die die betroffene(n) Schüler(in) nicht unterrichten (vgl. BGH 19, 104) oder die nur vertretungsweise aushelfen (BGH NStZ 12, 690 f.). Aber man muss auch sehen, dass das 49. StÄG – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht v. 21.1.2015 - die Richtlinie 2011/93/EU umgesetzt hat, was tendenziell zu weiteren Verschärfungen des Sexualstrafrechts – auch bei der Lehrer-Schüler-Beziehung - geführt hat (BT-Drs. 18/2601 S. 26 ff.). Ein vorauszusetzendes Obhutsverhältnis besteht nicht bei Nachhilfelehrern (BGH MDR 69, 16) und mit dem Ausscheiden aus der Schule wird das Lehrer-Schüler-Verhältnis beendet (BGH NStZ 03, 661, 12, 691) und es besteht zumindest ab diesem Zeitpunkt kein Obhutsverhältnis mehr. Auch allein die Mitgliedschaft in einem Turnverein begründet für sich genommen regelmäßig kein Obhutsverhältnis zwischen dem jugendlichen Mitglied und den in der Vereinsarbeit tätigen Vorständen oder Trainern (Beschl. v. 4.3.2020 – 2 StR 352/19).

Andere Beispiele: Soweit nach dem Gesetzt erforderlich ist, dass der Beschuldigte die sexuelle Handlung unter Missbrauch der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit vornimmt, reicht es nicht aus, wenn der Täter tatsächlich durch Versprechen von Vorteilen zum Ziel kommt. Oder es kann auch bei Bestehen einer ernsthaften Liebesbeziehung oder einer sexuell motivierten Initiative des Schutzbefohlenen an einem Missbrauch fehlen, solange die/der Schutzbefohlene zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung fähig ist. Hier wird keine bestehende spezifische Abhängigkeit missbraucht.

Es gibt andere Prüfsteine, an denen der Vorwurf des Missbrauchs von Schutzbefohlenen scheitern kann, insbesondere wenn man im Auge behält, dass die Vorschrift dem Schutz der „sexuellen Selbstbestimmung“ dient, nicht der Durchsetzung von Moralvorstellungen. Mit der „sexuellen Selbstbestimmung“ ist das Recht des Einzelnen gemeint, nicht gegen seinen Willen zum Objekt sexuellen Begehrens anderer gemacht zu werden. Früher sprach man im Zusammenhang mit den Straftatbeständen der §§ 174 ff. StGB von „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“, aber der Schutz der „sexuellen Selbstbestimmung“ ist etwas ganz anderes und die Konzentration auf das jeweils geschützte Rechtsgut führt bereits zu einer erheblichen Einengung des Straftatbestandes des § 174 StGB. 

Außerdem gibt es einen in der Praxis bewährten „Rettungsschirm“, nicht für alle, aber für viele Fälle, in denen man sich gegen den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen verteidigen muss: Nach § 174 Abs. 5 StGB kann das Gericht von einer Bestrafung wegen des sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen nach § 174 StGB absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist (§ 174 Abs. 5 StGB), also auch bei Taten, deren Schweregehalt im unteren Bereich liegt, weil etwa die sexuellen Handlungen nur knapp über der Erheblichkeitsschwelle liegt. Der an sich sehr weite Straftatbestand des § 174 StGB wird durch die Vorschrift des § 174 Abs. 5 StGB erheblich eingeengt und zusätzlich kommen daneben aber auch noch die allgemeinen Einstellungsvorschriften der §§ 153, 153a StPO in Betracht.

 

 

 

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