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Internationale Fahndung zur Strafverfolgung und Strafvollstreckung
Die Fahndung nach Personen zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung ist selten eine direkte Zielfahndung, d.h. individuelle planmäßige Suche nach einer bestimmten Person. Tatsächlich erfolgt die Fahndung nach mutmaßlichen Straftätern im Zeitalter der Datenerfassung typischerweise über sog. "Ausschreibungen" in allen erreichbaren Datenbanken, angefangen beim Ausländerzentralregister, Bundeszentralregister, Gewerbezentralregister, EDV-Fahndungssystem der Polizei INPOL und Interpol, bis hin zum Schengener Informationssystem (SIS).
Gefragt, wie lange die Fahndung auf diese Weise durchschnittlich dauert, antwortete ein Ermittler unlängst: "Ausschreibungen dauern bis zur Festnahme" - womit er wohl sagen wollte, dass sie in den meisten Fällen zuverlässig über kurz oder lang zur Festnahme führen.
Direkte Zielfahndungen nach bestimmten Personen oder Personengruppen gibt es auch, sie werden grundsätzlich durch das Bundeskriminalamt oder ein Landeskriminalamt ausgelöst und dann von einem sog. "Zielfahndungskommando" geführt (s. dazu unten). Gelegentlich kommt es auch vor, dass ein nationaler Haftbefehl zur Auslösung einer gezielten Fahndung der für den mutmaßlichen Wohnsitz des Gesuchten zuständigen Polizeidienststelle übersandt wird. Diese "kleine Zielfahndung" ist aber nicht die Zielfahndung, für die das Bundeskriminalamt oder teilweise die Landeskriminalämter berühmt sind.
Normalfall "Ausschreibungen"
Im Normalfall erfolgt die Fahndung nach Personen nur über sog. "Ausschreibungen", d.h. Aufnahme der gesuchten Person in Datenbanken für die Polizeiarbeit. Ausführliche Regelungen über die Fahndung zur Strafverfolgung und Strafvollstreckung sind in den deutschen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren enthalten (RiStBV, zuletzt geändert mit Wirkung vom 1. August 2015 durch Bekanntmachung im Bundesanzeiger - AT 31.07.2015 B1 - am 21. Juli 2015) und in den §§ 131 - 131c der Strafprozessordnung (StPO).
Fahndung in Europa
Die Fahndung in Europa basiert auf dem Europäischen Haftbefehl. Europas Polizei setzt neuerdings verstärkt auch auf die Mithilfe der Bevölkerung. Steckbriefe der meistgesuchten mutmaßlichen Straftäter Europas werden dazu auf einem zentralen Portal gesammelt.??Europol - die europäische Polizeibehörde - hat eine Website eingerichtet, ähnlich der "most wanted persons"-Liste bei Interpol. www.eumostwanted.eu stellt Steckbriefe aus und kann von allen Mitgliedsstaaten der EU genutzt werden, um die wichtigsten gesuchten mutmaßlichen Straftäter öffentlich zu machen.
Die Regelungen in den §§ 131 - 131c StPO
Auf Grund eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls können Richter oder Staatsanwälte und bei Gefahr in Verzug auch die Polizei (§ 152GVG) die Ausschreibung einer Person zur Festnahme veranlassen (§ 131 I StPO). Die Ausschreibung ermöglicht, dass die Polizei bei Abfrage der Personalien im aktuellen Fahndungsbestand feststellen kann, ob eine angehaltene Person festgenommen werden soll.??
Die Schwelle zur Öffentlichkeitsfahndung
Nur bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung darf eine Öffentlichkeitsfahndung veranlasst werden (§ 131 III StPO), bei der auch sog "Phantombilder" veröffentlicht werden können. Bei Gefahr im Verzug und wenn der Richter oder die Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig erreichbar ist, kann die Öffentlichkeitsfahndung auch durch die Polizei veranlasst werden (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes), wobei dann die Entscheidung der Staatsanwaltschaft unverzüglich nachträglich herbeizuführen ist und die Anordnung sonst binnen 24 Stunden außer Kraft tritt. Für die Öffentlichkeitsfahndung kommen in erster Linie Presse, Rundfunk, Fernsehen, Internet, Steckbrief, Plakate und bei akuter Suche im Nahbereich auch Lautsprecherdurchsagen in Betracht oder eben auch die "most wanted persons"-Liste bei Interpol und eumostwanted.eu.?
Die Öffentlichkeitsfahndung ist subsidiär, sie darf nur angeordnet werden, wenn ohne die Öffentlichkeitsfahndung die Aufenthaltsermittlung erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert sein würde.
Anforderungen an die Ausschreibung in Datenbanken
Der Beschuldigte ist bei der Ausschreibung möglichst genau zu bezeichnen und soweit erforderlich zu beschreiben; eine Abbildung darf beigefügt werden, damit eine Verwechslung unterbleibt. In der Ausschreibung kann die Tat angegeben werden sowie Tatort und Tatzeit und Umstände, die für die Ergreifung von Bedeutung sein können (§ 131 IV StPO).
Nach § 131a I StPO darf die Ausschreibung eines Beschuldigten oder eines Zeugen zur Aufenthaltsermittlung in allen Fahndungslisten der Strafverfolgungsbehörden angeordnet werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist.?Die Ausschreibung eines Beschuldigten darf auch zur Sicherstellung einer Fahrerlaubnis, zur erkennungsdienstlichen Behandlung, zur Anfertigung einer DNA-Analyse oder zur Identitätsfeststellung angeordnet werden (§ 131a II StPO).?Dabei darf zur Aufenthaltsermittlung eines Beschuldigten oder Zeugen bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung sogar eine Öffentlichkeitsfahndung angeordnet werden (§ 131a III StPO), wenn ein dringender Tatverdacht besteht und die Aufenthaltsermittlung sonst weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre.
Aufenthaltsermittlung eines Zeugen
Bei der Aufenthaltsermittlung eines Zeugen ist erkennbar zu machen, dass die gesuchte Person nicht Beschuldigter ist (§ 131a IV S. 1 StPO) und Ausschreibungen nach Zeugen sind auch nur zulässig, wenn nicht dessen überwiegende schutzwürdige Interessen entgegenstehen.
Die Veröffentlichung von Bildern eines Tatverdächtigen zur Identitäts- und Aufklärungsfahndung ist zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat und die Feststellung der Identität eines mutmaßlichen Täters auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre (§ 131b I StPO).?Die Veröffentlichung von Bildern eines Zeugen ist unter den gleichen Voraussetzungen zulässig, wenn es um eine schwere Straftat geht und klar hervorgeht, dass die abgebildete Person nicht Beschuldigter ist (§ 131b I StPO).
Die Kompetenzen bei der Anordnung und Bestätigung von Fahndungsmaßnahmen - wer darf was anordnen? - sind wie bei allen strafprozessualen Eingriffsmaßnahmen abgestuft vom Richtervorbehalt über die Staatsanwaltschaft bis zur Polizei.
Die Regelungen in Nrn 39 ff. RiStBV
Die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) haben keine Gesetzeskraft, sie sind nur Verwaltungsvorschriften für Strafverfahren, die eine bundeseinheitliche Sachbehandlung von Straf- und Bußgeldverfahren erreichen sollen.?Die RiStBV binden nur die weisungsgebundenen Bediensteten der Justizverwaltungen. Sie richten sich vor allem an die Staatsanwaltschaft, die nicht weisungsgebundenen Richter sind nicht gehalten, die Richtlinien zu berücksichtigen. Auch hinsichtlich der Staatsanwälte haben die RiStBV keine Außenwirkung, Verstöße können nur dienstrechtlich beanstandet werden.
Vorgabe: Internationale Fahndung
Nach Art. 41 II RistBV soll bei auslieferungsfähigen Straftaten gleichzeitig mit Einleitung der nationalen Fahndung zur Festnahme einer Person auch international in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz gefahndet werden, wenn nicht klar ist, dass sich die gesuchte Person im Inland aufhält. Obwohl Art. 41 II RistBV die internationale Ausschreibung damit quasi zum Regelfall erhebt, sieht die Praxis anders aus. Nach Schätzungen werden auch heute noch weniger als 10 % der nationalen Haftbefehle gleichzeitig auch international ausgeschrieben.
Schengener Informationssystem (SIS)
Wenn keine internationale Fahndung zur Festnahme erfolgt, soll die gesuchte Person wenigstens im Schengener Informationssystem (SIS) zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben werden (Art. 41 II S. 2 RistBV). Bei jeder Ausschreibung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, so dass für Bagatelldelikte auch keine Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben wird.
Fahndungshilfsmittel des Staatsanwalts sind außer einer nicht in jedem Fall zulässigen Öffentlichkeitsfahndung (auch via Internet) auch Auskünfte von Behörden oder anderen Stellen und das Bundeszentralregister, das Verkehrszentralregister, das Gewerbezentralregister, das Ausländerzentralregister, das EDV-Fahndungssystem der Polizei (INPOL), Dateien nach §§ 483 ff. StPO, die Fahndungsinformationen enthalten, das Bundeskriminalblatt und die Landeskriminalblätter und das Schengener Informationssystem (SIS).
Art. 40 RistBV ("Fahndung nach dem Beschuldigten") sieht in den Fällen des § 131 StPO ("Ausschreibung zur Festnahme") national die Ausschreibung des Beschuldigten zur Festnahme und die Anbringung eines entsprechenden Suchvermerks im Bundeszentralregister vor.
Ausländerbehörde und Fahndung
Ist der Beschuldigte ausländischer Staatsangehöriger und liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass er sich im Ausland befindet, so setzt sich der Staatsanwalt in der Regel auch mit der Ausländerbehörde in Verbindung (Art. 41 IV RistBV).
Fahndung nach einem Zeugen
Nach Art. 42 RistBV kommt auch die Fahndung nach einem wichtigen Zeugen mittels INPOL-Fahndung und ggf. Schengener Informationssystem (SIS)in Betracht, wenn sein Aufenthalt nicht bekannt ist. Zeugen können auch international zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben werden (Art. 43 III RistBV).
Internationale Fahndung
In Staaten außerhalb des Schengen-Raumes erfolgt die Fahndung durch INTERPOL. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die gesuchte Person in einem bestimmten Staat aufhält, so kann eine internationale Fahndung dort durch ein gezieltes Mitfahndungsersuchen veranlasst werden (Art. 43 II RistBV). Die internationale Fahndung zur Festnahmewird nur eingeleitet, wenn beabsichtigt ist, nach der Festnahme auch ein Auslieferungsersuchen zu stellen (Art. 43 II S. 2 RistBV).
Zielfahndung
Zielfahnder sind Polizeikräfte, die planmäß nach einer bestimmten Person oder Personengruppe suchen, sie unterstehen dabei einem Zielfahndungskommando. Die Zielperson ist meistens ein mutmaßlicher Straftäter, der aufgrund seiner besonderen Gefährlichkeit auch besonders intensiv und vorrangig gesucht wird. Die Basis der Zielfahndung sind die biografischen Erkenntnisse zu der Zielperson, die beim Bundeskriminalamt oder Landeskriminalamt zusammengeführt werden.
Als Zentralstelle verfügen das BKA und die LKAs über hochspezialisierte Abteilungen, die den eigenen Ermittlungseinheiten sowie den Länderpolizeidiuenststellen zur Verfügung stehen. Dazu gehören auch ein mobiles Einsatzkommando, die "operative Fallanalyse", das technische Servicezentrum IT-Forensik, Spezialeinheiten zur Führung von verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen, Zeugenschutzprogramme (§ 6 BKAG), Berater- und Verhandlungsgruppen, Finanzermittlungsgruppen, das kriminaltechnische Institut und eben die Abteilung Zielfahndung. Das BKA verfügt über ein Netz von Verbindungsbeamten an derzeit 52 Standorten in 50 Staaten. Diese können im Ausland Ermittlungen vor Ort initiieren und unterstützen, wo sie in den Drittstaaten nicht selber hoheitlich agieren können.
Nicht nur aus der Sicht des Strafverteidigers ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 2094/05) aus dem Jahre 2007 interessant, die eine gängige Methode der Zielfahndung beleuchtet. Es ging um einen mutmaßlichen Straftäter, der sich nach der Tat nach Italien abgesetzt hatte. Das Bundeskriminalamt veranlasste unter anderem die Überwachung des Telefonanschlusses seiner Ehefrau, die zur Aufzeichnung zahlreicher Gespräche zwischen dem Gesuchten und seiner Ehefrau, seinen Freunden und seinem Rechtsanwalt führte.
Die von der Zielfahndung veranlasste Überwachung des Telefonanschlusses eines Strafverteidigers ist allerdings nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts unstatthaft, auch wenn sie auf die Überwachung der Kommunikation mit seinem einer Katalogtat beschuldigten Mandanten abzielt?(BVerfG, Beschluss vom 18.04.2007 - 2 BvR 2094/05).
Beendigung der Fahndung
Soweit erforderlich, veranlasst der Staatsanwalt nach Wegfall des Fahndungsgrundes unverzüglich die Rücknahme aller Fahndungsmaßnahmen (Art. 39 II RistBV)
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Rechtsanwälte Dr. Martin Rademacher & Lars Horst, LL. M. in Düsseldorf