Bitte rufen Sie uns an unter +49 (0) 211 1718380 oder schicken Sie uns eine Email an duesseldorf@ra-anwalt.de um herauszufinden, wie wir Ihnen helfen können.
Für Notfälle haben wir einen 24 Std. Notruf unter 0172-2112373 oder 0172-7056055
Die verbreitete Vorstellung, dass Strafverfahren immer vor Gericht in einer sog. „Hauptverhandlung“ entschieden werden und entweder mit einem Freispruch oder einer Verurteilung enden müssen, stimmt so nicht. Moderne Strafverteidiger haben aktive Strategien entwickelt, im Strafverhahren die gerichtliche Hauptverhandlung zu vermeiden und dem Mandaten Zeit, Geld, psychischen Druck und schlechten Schlaf und im schlimmsten Fall auch eine Rufschädigung durch Medienberichterstattung zu ersparen.
Solche Strategien, um die gerichtliche Hauptverhandlung zu vermeiden, kann man in allen Sparten des Strafrechts verfolgen, auch im Sexualstrafrecht, wo es sogar gesetzliche Regelungen gibt wie z.B. § 174 Abs. 5 StGB, wonach das Gericht beim sexuellen Missbrauch von einer Bestrafung absehen kann, wenn das Unrecht der Tat gering ist.
Strategien, um die gerichtliche Hauptverhandlung zu vermeiden, setzen allerdings rechtzeitige Verteidigungsaktivität voraus. Wenn man erst einmal gar nichts tut, also die rein exspektative Strategie einschlägt, tut sich im Strafverfahren wenig. Genauso wie in der modernen Medizin ist die bloß abwartende rein exspektative Therapie auch in der Strafverteidigung nur in seltenen Fällen die Methode der Wahl. Sie führt geradewegs in die gerichtliche Hauptverhandlung mit den geradebeschriebenen Nebenwirkungen (Kosten, psychischer Druck, Rufschädigung), die man nicht haben muss. Moderne aktive Verteidigungsstrategien bewegen sich stattdessen aktiv auf eine Einstellung des Verfahrens ohne Gerichtsverhandlung zu.
Viele Betroffene fürchten sich aus gutem Grund vor der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung und der Berichterstattung durch die Medien. Aber Gerichtsverhandlungen in Strafsachen gegen Erwachsene einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse sind grundsätzlich immer öffentlich (§ 169 Abs. 1 Satz 1 GVG). Jeder kann im Rahmen der gegebenen räumlichen Möglichkeiten als Zuschauer oder Reporter daran teilnehmen. Das Interesse von Zuschauern und Medien hängt von der „Attraktivität“ des Falles ab. Die zahlenmäßig meisten Gerichtsverfahren in Deutschland haben gar keine Zuschauer, wenn sich nicht gerade zufällig eine Schulklasse oder sonstige Besuchergruppe angemeldet hat, und sie erwecken auch kein Medieninteresse. Spektakuläre Gerichtsverfahren im Sexualstrafrecht ziehen hingegen lokale oder überregionale Zuschauer und Medienvertreter an.
Ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist nur in den gesetzlich bestimmten Fällen unter den jeweils bestimmten Voraussetzungen zulässig und regelmäßig nur für Teile der Hauptverhandlung. Die Öffentlichkeit kann u.a. dann zeitweise ausgeschlossen werden, wenn Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten zur Sprache kommen, insbesondere eines Zeugen oder eines Verletzten, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde (§ 171b Abs. 1 S. 1 GVG). Das ist im Sexualstrafrecht häufig und immerhin schon mal etwas. Die Voraussetzungen liegen gerade in Sexualstrafverfahren regelmäßig vor, sie führen dann zum zeitweisen Ausschluss der Öffentlichkeit und der Medienvertreter, die aber sonst an der Gerichtsverhandlung teilnehmen dürfen. Innerhalb einer Gerichtsverhandlung wird die Öffentlichkeit nur zeitweise ausgeschlossen und dann auch wiederhergestellt. Dieses Procedere erspart dem Angeklagten im Sexualstrafrecht aber nicht die Medienaufmerksamkeit. Die Verfahrensbeteiligten können auch nicht wirksam auf die Beachtung des Öffentlichkeitsgrundsatzes verzichten. Die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist ein absoluter Revisionsgrund und die Einhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes wird gerade deswegen von den Strafgerichten in Deutschland strikt respektiert.
Was in der Gerichtsverhandlung passiert, darf die Presse berichten. Es gibt nur ein elektronisches Ton- und Bildberichterstattungsverbot während der Gerichtsverhandlung (§ 169 S. 2 GVG), das aber außerhalb der Hauptverhandlung nicht unbedingt greift. Der Vorsitzende Richter des Strafgerichts kann aber die Zulassung von Ton- und Filmaufnahmen in den Zeiten unmittelbar vor Beginn und nach Schluss der Verhandlung sowie während der Verhandlungspausen reglementieren (§ 176 GVG). Dass die Verbreitung von Bildaufnahmen gerade in Verfahren aus dem Sexualstrafrecht erhebliche Folgen für den Angeklagten haben kann (Stichwort „Prangerwirkung“) und eine Resozialisierung erschweren kann, liegt auf der Hand.
Für die sog. „identifizierende“ Fernseh- und Presseberichterstattung gibt es Regeln:
1. Bei der sog. schweren Kriminalität hat das Informationsinteresse der Öffentlichkeit grundsätzlich Vorrang vor dem Schutz des Angeklagten mit der Folge, dass grundsätzlich auch identifizierend berichtet werden darf mit Namensnennung und Abbildung.
2. Bei Straftaten mittlerer Kriminalität ist eine identifizierende Berichterstattung zulässig, wenn der Informationsfunktion der Medien eine erhöhte Bedeutung zukommt, wie z.B. im Bereich der öffentlichen Korruption.
3. Bezüglich Prominenter wie z.B. Politiker, Spitzensportler, hochrangiger Manager, Musikstars, Film- oder Fernsehstars wird von der Rechtsprechung ein vorrangiges öffentliches Informationsinteresse vermutet, das auch eine Bild- bzw. Fernsehberichterstattung erlaubt, jedenfalls wenn das Strafverfahren in einem inhaltlichen Zusammenhang mit der öffentlich wahrgenommenen Funktion der angeklagten Person steht.
4. Unter Umständen kann bei jeder Fallgruppe schon aus Sicherheitsgründen eine Anonymisierung der Personen erforderlich sein.
Im Ergebnis ist festzuhalten, das eine identifizierende Berichterstattung nur in Fällen in Betracht kommt, bei denen man ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit begründen kann. Die Angst vor der Presseberichterstattung ist also nicht immer begründet, für die Mehrzahl der Strafverfahren vor deutschen Gerichten interessiert sich die Presse nicht, das gilt auch für die Masse der Sexualstrafverfahren. Man erlebt aber vor allem auch im regionalen Raum, dass sich die Presse nicht immer regelkonform verhält bzw. das Informationsinteresse der Öffentlichkeit eigenwillig unterstellt. Und bei Sexualstrafverfahren hat man oft Gruppen von interessierten Zuschauern aus dem Umfeld des Opfers und des Angeklagten.
Moderne Strafverteidigung arbeitet daran, schon das zunächst aufgrund eines Anfangsverdachts eingeleitete Ermittlungsverfahrens (§ 160 StPO) zur Einstellung ohne Gerichtsverfahren zu bringen. Dieser Anfangsverdacht entsteht bei den Ermittlungsbehörden u.a. durch Anzeigen namentlich bekannter oder anonymer Anzeigenerstatter oder durch Erkenntnisse aus anderen Strafverfahren.
Mit dem Abschluss der Ermittlungen entscheidet die Staatsanwaltschaft über Anklageerhebung oder Einstellung des Verfahrens. Mit der Anklageerhebung geht die Sache ans Gericht.
Ein Ermittlungsverfahren wird nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, wenn kein „genügender Anlass“ für die Erhebung der Anklage besteht (§ 170 Abs. 2), also am Ende kein Tatverdacht mehr.
Es gibt außerdem weitere Möglichkeiten einer geräuschlosen Verfahrenserledigung durch Einstellung des Ermittlungsverfahrens, so etwa bei „geringer Schuld des Täters“ (§ 153 und § 153 a StPO). Alle Einstellungen haben gemeinsam, dass sie die Hauptverhandlung vor Gericht verhindern. Sie können auch das Ergebnis eines „Deals“ mit der Staatsanwaltschaft sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Der „Deal“ darf dabei nicht als Gekungel oder Frucht persönlicher Bekanntschaften zwischen Strafverteidigern und Staatsanwälten verstanden werden, sondern ist das Ergebnis harter Arbeit, präziser Durchdringung der Rechtslage, Aufspüren der denkbaren Verteidigungsmöglichkeiten und ggfs. Positionsverbesserungen durch ideales Nachtatverhalten.
Nach der Anklageerhebung muss das Gericht entscheiden, ob es die Anklage überhaupt zur Gerichtsverhandlung zulässt. Diese Entscheidung wird in dem sog. "Zwischenverfahren" zwischen Erhebung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen und auch hier gibt es oft erhebliche Chancen für die Strafverteidigung, eine Gerichtsverhandlung noch zu vermeiden.
Wie sehr die Befassung mit der Anklageschrift vor der Hauptverhandlung sich lohnen kann, hat z.B. das Landgericht Itzehoe eindrucksfall demonstriert, als es die Eröffnung in einem großen Verfahren abgelehnt hat (Beschl. v. 20.01.2014 - 8 KLs 1/13). Und die "doppelte" Begründung für die Ablehnung der Anklage erfolgte ausdrücklich "aus rechtlichen Gründen und außerdem auch aus tatsächlichen Gründen". Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde gemäß § 204 StPO aus rechtlichen Gründen abgelehnt, weil der den Angeschuldigten vorgeworfene Sachverhalt bei genauer Überprüfung gar keinen Straftatbestand erfüllte. Die Eröffnung wurde außerdem auch ausdrücklich noch aus tatsächlichen Gründen abgelehnt, weil bei vorläufiger Tatbewertung eine spätere Verurteilung der Angeschuldigten gar nicht hinreichend wahrscheinlich war.
Die Anklageschrift muss ja im Strafverfahren einer sog. "Informations- und Umgrenzungsfunktion" genügen, also die dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten hinreichend bestimmt beschreiben und hierbei zumindest Tatzeit, Tatort und Tatumstände nennen. Diese hinreichend konkrete Beschreibung der Tat in der Anklageschrift kann in keinem Fall durch den Verweis auf als Anlagen beigefügte Schriftstücke, Pläne, Lichtbilder oder sonstige Dokumente ersetzt werden. Genügt eine Anklageschrift diesen Voraussetzungen nicht, dann ist die Eröffnung des Hauptverfahrens schon aus diesem Grunde abzulehnen.
Das Hauptverfahren kann auch aus tatsächlichen Gründen nicht eröffnet werden, wenn nämlich ein hinreichender Tatverdacht nicht vorliegt. Ein hinreichender Tatverdacht im Sinne von § 203 StPO darf aber nur dann angenommen werden, wenn die vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung der Angeschuldigten in einer Hauptverhandlung wahrscheinlich ist. Natürlich muss für die vorläufige Bewertung die Frage der Täterschaft und Schuld noch nicht restlos bis in alle Einzelheiten geklärt sein. Aber wenn nicht zu erwarten ist, dass eine Hauptverhandlung mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln zu einer Verurteilung des bestreitenden Angeschuldigten führen wird, kann eine Gerichtsverhandlung auf seinem Rücken nicht durchgeführt werden.
Der BGH hat den strengen Umgang mit der Anklageschrift in einer Reihe von Entscheidungen immer wieder bestätigt (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 20.11.2014 - 4 StR 153/14). Der BGH betont, dass gemäß § 264 Abs. 1 StPO nur die in der Anklage hinreichend bestimmt bezeichnete Tat Gegenstand der Urteilsfindung sein kann, was besonders auch den in der Anklage genannten Tatzeitraum betrifft.
Die Verteidigungsstrategie generell und insbesondere, wenn es um die Vermeidung der Gerichtsverhandlung geht, konzentriert sich auf die Widerlegung des hinreichenden Tatverdachts. Hinreichender Tatverdacht ist dann zu bejahen, wenn die nach Maßgabe des Akteninhaltes vorläufige Tatwertung ergibt, dass die spätere Verurteilung des Angeschuldigten in der Gerichtsverhandlung wahrscheinlich ist. Die Wahrscheinlichkeit muss so groß sein, dass etwaige Zweifel nur durch das Gericht in der Hauptverhandlung entschieden werden können. Nur dann ist die Durchführung einer Gerichtsverhandlung grechtfertigen.
Das Gericht muss schon vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens das gesamte Ermittlungsergebnis prüfen und es reicht nicht aus, lediglich die Einlassung des Angeschuldigten zu widerlegen und als Schutzbehauptung zu entlarven (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 02.06.1997, (4) 1 Ss 51/97 (52/97)). Wenn aufgrund des Akteninhaltes der Freispruch des Angeschuldigten wahrscheinlicher ist als seine Verurteilung, darf das Hauptverfahren nicht eröffnet werden. Das ist nicht selten und der Strafverteidiger muss solche Fälle detektieren.
Gerade im Sexualstrafrecht ergibt sich aus der Sicht der Strafverteidigung in einigen Verfahren die Möglichkeit, durch einzelne Beweiserhebungen im Zwischenverfahren einen bestehenden hinreichenden Tatverdacht ganz oder teilweise zu beseitigen. In solchen Fällen steht es dann auch nicht im Ermessen des Gerichts, ob es diese von der Verteidigung beantragten Beweiserhebungen schon im Zwischenverfahren oder aber erst in der späteren Gerichtsverhandlung vornimmt, wie manche Gerichte immer noch meinen. Die Verpflichtung zu solchen Beweiserhebungen im Zwischenverfahren ergibt sich eindeutig aus §§ 155 Abs. 2, 206 StPO.
Das Gericht muss sich im Zwischenverfahren auch mit unerledigten Beweisanträgen des Beschuldigten aus dem Ermittlungsverfahren auseinandersetzen und mit neuen Beweisanregungen und Beweisanträgen des Angeschuldigten aus dem Zwischenverfahren (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO), so dass der Angeschuldigte im Zwischenverfahren tatsächlich erhebliche Einwirkungsmöglichkeiten - und Chancen zur Vermeidung der Gerichtsverhandlung - hat.
Bei der vom Gericht vorzunehmenden Wahrscheinlichkeitsbeurteilung geht es auch um die Prüfung der zu erwartenden Beweisbarkeit des angeklagten Geschehens mit den in der Hauptverhandlung voraussichtlich zur Verfügung stehenden Beweismitteln. Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass die im Ermittlungsverfahren genutzten Beweismittel auch in einer Gerichtsverhandlung zur Verfügung stehen. Beispielsweise kann der Angeklagte in der Hauptverhandlung der Verwertung einer ohne Belehrung stattgefundenen Vernehmung (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) widersprechen oder ein Zeuge kann in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Unter solchen Vorzeichen ist schon im Zwischenverfahren vor der Gerichtsverhandlung zu bewerten, ob in einer möglichen Gerichtsverhandlung wahrscheinlich eine Verurteilung oder ein Freispruch ergehen würde. Ist der Freispruch wahrscheinlicher, dann darf eine Gerichtsverhandlung gar nicht mehr durchgeführt werden.
Für Notfälle haben wir einen 24 Std. Notruf unter 0172-2112373 oder 0172-7056055
Rechtsanwälte Dr. Martin Rademacher & Lars Horst, LL. M. in Düsseldorf